Als realitätsfern und verfassungswidrig beurteilte das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in 2021 die Höhe der Zinsen auf Steuernachzahlungen von 6 % pro Jahr. Das BVerfG hatte die steuerliche Vollverzinsung zwar grundsätzlich für zulässig erklärt, aber den Gesetzgeber aufgefordert, den Zinssatz spätestens bis Ende Juli 2022 für alle noch änderbaren Steuerbescheide mit offenen Nachzahlungs- oder Erstattungszinsen für Verzinsungszeiträume ab dem 1. Januar 2019 anzupassen. Der bisherige Zinssatz von 6 % darf nur für Zinszeiträume bis zum 31.12.2018 weiterhin angewendet werden.
Die Entscheidung des BVerfG hatte zur Folge, dass Finanzämter und Gerichte die bisherigen Regelungen zur Vollverzinsung für Verzinsungszeiträume ab 2019 nicht mehr angewendet und laufende Verfahren ausgesetzt haben.
Am 8. Juli wurde nun ein Gesetz zur Änderung der steuerlichen Vollverzinsung verabschiedet. Der Zinssatz für Zinszeiträume ab dem 1. Januar 2019 sinkt rückwirkend auf 0,15 % pro Monat, das heißt 1,8 % pro Jahr. Die Neuregelung gilt für alle Steuern, auf die eine Vollverzinsung anzuwenden ist.
Die rückwirkenden Zinsänderungen übernehmen die Finanzämter, betroffene Steuerzahler müssen also nicht selbst tätig werden. Ergibt sich nach der Neuberechnung eine niedrigere Zinslast als bisher, werden die zu viel gezahlten Zinsen erstattet – allerdings nur in noch offenen Steuerfällen.
Anders ist das Ergebnis für diejenigen Steuerzahler, die für Zinszeiträume ab 2019 Erstattungszinsen erhalten haben. Auch wenn die betreffenden Steuerbescheide noch änderbar sind, braucht die Differenz zwischen 6,0 % und 1,8 % p.a. aus Vertrauensschutzgründen nicht ans Finanzamt zurückgezahlt werden, so das Bundesfinanzministerium.
In Mischfällen, das heißt abwechselnden Zeiträumen mit Nachzahlungs- und Erstattungszinsen oder umgekehrt, ist der Vertrauensschutz auf das Ergebnis der Neuberechnung anzuwenden.
Bei der Nachholung einer ausgesetzten Zinsfestsetzung gewährt der Fiskus keinen Vertrauensschutz, da keine Änderung einer Zinsfestsetzung erfolgt, sondern erstmals Zinsen festgesetzt werden. Dies betrifft insbesondere alle vorläufigen Steuerbescheide, die nach der Entscheidung des BVerfG in 2021 erlassen wurden und in denen das Finanzamt die Zinsen auf Steuernachzahlungen auf Null gesetzt hatte. In diesen Fällen wird jetzt erstmalig ein Steuerzins mit 0,15 % pro Monat Zinslauf festgesetzt und zur Zahlung fällig werden.
Die Angemessenheit des Steuerzinssatzes ist zukünftig regelmäßig alle zwei Jahre unter Berücksichtigung der Entwicklung des Basiszinssatzes zu überprüfen.
Hinweis: Die aktuelle Zinsänderung für die steuerliche Vollverzinsung wird höchstwahrscheinlich nicht die letzte Änderung von Steuerzinsen sein. Zur Frage der Angemessenheit von Steuerzinsen sind immer noch weitere maßgelbliche Verfahren vor dem BVerfG anhängig. Zum einen ein Verfahren zur Rechtmäßigkeit der Abzinsung von Pensionsrückstellungen mit unverändert 6% pro Jahr: Das Finanzgericht Köln hat die Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit vor etwa zweieinhalb Jahren dem BVerfG vorgelegt, mit einer Entscheidung kann aber frühestens in ein bis zwei Jahren gerechnet werden. In Anbetracht der besonderen Wirkungsweise der steuerlichen Abzinsung zur Ermittlung von Pensionsrückstellungen könnte dann ein Paukenschlag für den Fiskus folgen. Zum anderen ist ein Verfahren vor dem BVerfG anhängig, in dem es um die Angemessenheit der Höhe des Abzinsungssatzes von 5,5 % pro Jahr für Verbindlichkeiten in den Steuerbilanzen geht, das ebenfalls mit Spannung erwartet wird. Und nicht zuletzt ist zu beachten, dass Stundungs-, Hinterziehungs- und Aussetzungszinsen von der aktuellen Absenkung der steuerlichen Vollverzinsung nicht erfasst sind und damit weiterhin unverändert bleiben.
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